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Gegen die Zeit: Festivalarbeit in Zeiten des Umbruchs

Julia Gause

Ein Rückblick auf das Jahr Eins nach der Corona-Festival-Pause.

Endlich geht es wieder los! Raus aus der Pandemie, rein in die Miro-Boards dieser Welt um unsere Remote-Work Efforts (oder sollten wir sagen: New-Work-Ansätze?) zu optimieren und endlich wieder das zu tun, wofür der Verein Fuchsbau e.V. einst gegründet wurde: Ein dreitägiges Festival irgendwo zwischen Berlin und Hannover auf die Beine zu stellen. Dabei gilt es Ehrenamt mit Lohnarbeit zu verbinden, ehrenamtliche Teammitglieder mit bezahlten Teammitgliedern und alte mit neuen zu synchronisieren. Aber halt, sind wir eigentlich divers genug? Nein! Aber wie werden wir diverser? Was heißt denn Diversität bei uns? Und ganz nebenbei: machen wir sonst eigentlich alles richtig? Also wirklich alles? Was ist mit Nachhaltigkeit, der eigenen Mental Health und sowieoso, Barrierefreiheit? Und wenn wir all das richtig machen, kommt dann am Ende eine nice Veranstaltung raus? Eine, die uns Spaß macht, auf die wir stolz sind und die auch die Herzen unserer Besucher*innen höherschlagen lässt? Speaking of, wer sind sie eigentlich, unsere Besucher*innen, was treibt sie an? Und dazu die Fragen aller Fragen: Fährt sie überhaupt (noch) auf Festivals?  

Ein Einblick in das Seelenleben des Fuchsbaus Anfang 2022. Nach fast zwei Jahren Pandemie treffen wir uns zum wiederholten Male, online  natürlich, holen Konzepte und Anträge heraus, die wir vor fast drei Jahren geschrieben haben. Eigentlich hatten wir viel Zeit für die Vorbereitung unseres Sommerfestivals zum Thema “Gegen die Zeit”, schließlich hatte uns die Welt eine Zwangspause verordnet, die den Festivaltermin gezwungenermaßen von 2020 in 2022 verlegte. Doch wie viele mussten wir feststellen, dass die Corona-Zeit nicht nur produktiv war, wir als Individuen unterschiedlich mit den Herausforderungen des Lockdowns umgingen und unterschiedlich motiviert auf die anstehende Festivalsaison blickten. Dazu hatten sich Lebensrealitäten verändert, einige von uns hatten mehr, andere weniger Zeit. Und: Wir waren noch immer über ganz Deutschland (oder besser: Europa) verstreut.

Umso erfreuter sind wir, als es im April das erste hybride Treffen seit einer gefühlten Ewigkeit gibt. Das bedeutet: Zumindest einige von uns sehen sich wieder in real life! Mit dabei: Neue Teammitglieder, die wir über einen öffentlichen, vor allem auf Social Media geteilten, Aufruf gesucht und gefunden hatten. Bis dato waren neue Teammitglieder vor allem Freund*innen und Bekannte von längerjährigen Teammitgliedern, oder hatten als Volunteers oder Praktikant*innen erste Berührungspunkte mit dem Kollektiv gehabt. Nicht nur galt es Anfang 2022 also neue Gesichter und Charaktere kennenzulernen, sondern auch die Struktur des Teams hatte sich geändert: Erstmals in der zehnjährigen Vereinsgeschichte hatten wir Personen auf Schlüsselpositionen wie Produktionsleitung oder Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fest angestellt. Für uns war dies ein Zeichen der Professionalisierung, zugleich die Hoffnung und Erleichterung, dass Arbeit, die auch wirklich getan werden musste, getan wurde, und zwar on time und nicht mit einem Monat Verspätung, weil die eigene Lohnarbeit mal wieder mit dem Fuchsbau-Ehrenamt kollidierte. Wir starteten also neugierig, motiviert und voller Vorfreude in die gemeinsame Festival-Vorbereitungs-Hochphase.

Doch irgendwie lief dann doch nicht alles so smooth, wie wir es uns auf unseren Miro-Boards und Excel-Tabellen ausgemalt haben. Neben steigenden Kosten aufgrund der vielzitierten Inflation und gleichzeitig wenig euphorisch machenden Ticketverkäufen (ein im Sommer 2022 viel beobachtbares Phänomen), musste sich die Zusammenarbeit zwischen neuen und alten, neuen und neuen und alten und alten Teammitgliedern sowie Fuchsbau Kern- und erweitertem Team erst wieder einspielen. Es dauerte ein paar Wochen (oder Monate?) bis alle sich eingegroovt hatten, und bereits auf dem Wege verabschiedeten sich einige Gesichter wieder, andere arbeiteten so hart, dass sie sich selbst nach dem Festival erst einmal eine längere Fuchsbau-Pause verordneten.

Warum wir das hier so deutlich sagen? Weil wir es als Teil des Entwicklungsprozesses für uns als Team und für uns als Individuen sehen, Herausforderungen und Probleme beim Namen zu nennen. Uns regelmäßig in die Augen zu schauen, uns zu loben und wertzuschätzen, aber auch festzuhalten, an welchen Stellen wir uns mittelmäßig bis hoffnungslos überschätzt haben. Denn auch wenn es logisch klingt, so mussten wir nach zwei Jahren Pause doch erst wieder lernen: Ein Festival für bis zu 3000 Menschen auf der grünen Wiese mit einem Haufen ehrenamtlicher und einer Hand voll hauptamtlicher Personen durchzuführen, ist harte Arbeit und geht regelmäßig an die Belastungsgrenze und darüber hinaus. Dabei geht es nicht nur um teils prekäre Arbeitszeiten (wenn mein Vollzeitjob von 9 bis 18 Uhr stattfindet, wann ist dann wohl Zeit für den Fuchsbau?), sondern auch um zwischenmenschliche Herausforderungen. Als Team zwischen Mitte 20 und Ende 30, mit unterschiedlichen Backgrounds, Wissensständen, Belastbarkeitsgrenzen und Bedürfnissen, sind Spannungen vorprogrammiert und auch normal.

Herausfordernd wird das ganze umso mehr, wenn sich die Kommunikation häufig nur im digitalen Raum abspielt, im Zweifelsfall sogar über einen Chat und gleichzeitig wenig Zeit genommen wird für klärende Gespräche, da alle gestresst ihren ToDos hinterherlaufen, weil der Festivaltermin immer näher rückt. Dazu kommen einfache Versäumnisse, die nicht passieren sollten und dann doch passieren: Rollen waren nicht klar definiert, Übergaben nicht sauber dokumentiert.

Und doch, am Ende öffnete das Fuchsbau Festival am 12. August 2022 um 16 Uhr seine Pforten. Mit rund 1500 Besucher*innen war das Festival zwar kleiner als gewohnt, was unserem Stolz und unserer Freude über die kleine Parallelwelt, die wir mal wieder geschaffen hatten, keinen Abbruch tat. Dennoch, wir gaben uns kaum Zeit zum Ausruhen: Noch auf dem Festivalgelände gab es eine erste Feedbackrunde, über gelungene und misslungene Situationen (von beidem gab es viele!), über die folgenden Wochen sammelten wir weiter. Insbesondere “die Neuen” sollten zu Wort kommen, und immer wieder viel ein Wort: Wissenstransfer. Inspiriert von einem holokratischen Rollenverständnis, wie es in New Work Kontexten häufig genutzt wird, fingen wir an, Rollen zu definieren, zu dokumentieren, was und wen es eigentlich alles brauchte, um ein Festival dieser Größenordnung zu stemmen. Auch emotionale Arbeit holten wir nach: Nicht nur erinnerten wir uns an die Relevanz einer Person, die stets das Thema “Teamcare” insbesondere zu Hochzeiten auf dem Schirm hat, sondern wir probierten uns auch an einem neuen Format: Das so genannte “Clear the Air” Meeting sollte dazu dienen, konkrete Spannungen (oder spannungsgeladene Situationen) direkt zu benennen und in einem wertfreien Raum diese an die betreffende(n) Person(en) zu richten. Dabei bemühten wir uns, unsere Spannung möglichst gewaltfrei zu formulieren, stets in Ich-Botschaften zu denken und zu sprechen. Dieses für uns ungewohnte Format ermöglichte einen neuen Zugang zu unseren eigenen Bedürfnissen und Erwartungshaltungen und führte zu teils sehr konkreten Verabredungen in Bezug auf die künftige Zusammenarbeit.

Und während all das nach harter Arbeit klingt, sind es dann doch manchmal die einfachen Dinge des Lebens, die uns versöhnlich auf das Jahr zurückschauen lassen: Im Dezember kamen wir als Team noch einmal persönlich zusammen und neben Workshops über die Zukunft und Brainstorming zu Projekten für 2023 und 2024, sagten wir einfach einmal “Danke” zueinander: So erhielt jede*r der Anwesenden in einer anonymen Aktion eine individuelle Dankeskarte. 

Ende gut, alles gut? Es wäre so schön! Doch auch Anfang 2023 stehen wir vor einem Umbruch. Erneut prüfen wir, welche Rollen wir eigentlich ausfüllen müssen, um auch in diesem Jahr eine Veranstaltung durchzuführen. Erneut prüfen wir unsere eigenen Kapazitäten und fragen uns, wie viel Zeit wir verbindlich in das Projekt “Fuchsbau” stecken wollen und können. Und wir fragen uns, was der Fuchsbau für uns eigentlich ist. “Wer sind wir”, diese große Frage stellen wir uns auch in diesem Jahr aufs Neue. Und das ist gut so. 

Wer konkrete Fragen oder Anmerkungen oder Ideen zu den angeteaserten Formaten, Fragestellungen und Reflektionsprozessen hat, darf sich gerne bei uns unter info@fuchsbau-festival.de melden! Wir freuen uns insbesondere über einen Austausch mit anderen Festivals, die ähnliche Prozesse und Themen bearbeiten.

Fotos: Moritz Peters